Johannes Firzlaff

zum 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß am

2015-09-06


Allgemeine Betrachtungen der Wahrscheinlichkeiten, Offensichtlichkeiten und Gewißheiten zum unwillkommenen und willkommenen Spionageverhalten gegenüber der jeweiligen Bundesrepublik Deutschland von mit dieser verbündeten oder anderweitig vermeintlich oder tatsächlich befreundeten Staaten sind für meine

Gedanken zum vielleicht geheimsten Offenen Geheimnis in Deutschland

nicht erforderlich.


"In Washington, D. C., äußerte 1984 der deutsche Heeresattaché bei einem Botschaftbesuch Franz Josef Strauß' das amerikanische Nichtverständnis, warum er (FJS) der DDR aus Mitteln des Bundeshaushaltes einen Milliardenkredit verschafft habe. Botschafter Hermes bekräftigte, dies sei der allgemeine Eindruck und verneinte klar die Frage nach einer Bonner Weisung, die amerikanische Regierung über Motive, Hintergründe, Fakten und Zahlen zu unterrichten.

So konnte Strauß auch nicht mehr überraschen, was er im anschließenden Gespräch mit Reagans Vizepräsident Bush (Senior) erfuhr. Man habe sich die erstaunte Frage gestellt, wie ausgerechnet Strauß, dieser leidenschaftliche Gegner des Kommunismus, der DDR aus dem Bundeshaushalt eine Milliarde Mark zuschanze. Nach Strauß geleisteter Informationsarbeit, die eigentlich Sache des Bonner Regierungsapparates gewesen wäre, versicherte Bush ihm, daß er jetzt alles streichen müsse, was er bisher zu diesem Thema gehört und gedacht habe."

Gegebenenfalls haben Sie eine gute Chance auf Ihr persönliches Bush-Erlebnis, wenn Ihr Wissen und noch mehr der bei Ihnen davon gebliebene Eindruck aus Medienhand über die beiden Milliardenkredite erheblich abweicht von den Erste-Hand-Informationen in "Franz Josef Strauß - Die Erinnerungen", aus denen ich oben und unten durchgehend wörtlich oder ohne Unterscheidung wortnah zitiere:

"Es waren Kredite von Bank zu Bank zu marktüblichen Zinsen, wo niemals auch nur ein Pfennig Steuerzahlergeld auf dem Spiele stand oder Zinssubvention gegeben wurde. Damit unterschieden sich die Kredite grundsätzlich von Helmut Schmidts unseligen Milliardenkredit an Polen. Da private Banken jedoch Sicherheiten brauchen, verpfändete die DDR ihre Ansprüche aus der von Bonn an Ost-Berlin schon zuvor jahrelang gezahlten Transitpauschale. Wäre die DDR also mit Tilgung und Zinszahlungen in Verzug geraten, würde Bonn die entsprechende Summe von der Transitpauschale einbehalten haben und bei den Gläubigerbanken abgeliefert haben können. Die Bundesregierung brauchte weder eine Bürgschaft zu geben noch eine Haftung zu übernehmen. Sie mußte nur erklären, mit obigen Modus einverstanden zu sein. Während der berühmte, von Strauß eingefädelte und mit seinem Namen verbundene Milliardenkredit ungeheure Aufsehen erregte, redete niemand von einem Drei-Milliarden-Folgekredit ein Jahr später, von dem die DDR freilich nur die erste Rate abgerufen hat. Dazu hörte Strauß eine interessante These aus ungenannter Quelle: Falls im Kontext mit der Nachrüstung die Sowjets dicht gemacht hätten, würde die DDR im Westen noch einen gewissen Spielraum gehabt haben."

Vielleicht erwähnte Strauß gegenüber den Amerikanern auch wie gegenüber den Lesern seiner Erinnerungen, daß "im Kabinett Außenminister Genscher sich zwar für die Sache einsetzte, die Beschlüsse aber verzögerte", also gegen die Interessen Bonns und Ost-Berlins handelte. Schon allein durch das Andauern von Genscherismus-Phänomenen [Gerhard Löwenthal 1999], also auch ohne die meine Überschrift einrahmende "Nichterforderlichkeit allgemeiner Betrachtungen", dürfte sich das Kopfschütteln und Mißtrauen der Amerikaner irgendwann so weit verstärkt haben, daß sie zur Erklärung ihrer Beobachtungen sehr wohl auf die Hypothese gekommen sein können, daß mit Genscher selbst was nicht stimmen kann und der Versuchung erlagen, diese Möglichkeit auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu untersuchen und dabei vielleicht sogar ohne Auftrag der Bundesrepublik Deutschland deren Geschäfte zu führen.

Unter Vorwegnahme des Folgenden weitergesponnen würden sie dann im Falle einer Verifizierung der Hypothese nebenbei das "Sicherheitsleck in Genschers Umfeld" gefunden haben, zu dem es neben anderen seit 1988 folgenden "präzisen Hinweis gab: Kurz nach seiner Rückkehr von vertraulichen Treffen im September 1988 in Bonn wurde dem damaligen ungarischen Staatssekretär und Reformer Gyula Horn in Budapest das Protokoll seiner Geheimgespräche vorgehalten. Das Dokument, so erfuhr er, war von der DDR-Staatssicherheit beschafft worden. Eine Kopie lag in Moskau." [siehe weiter unten]

"Immerhin ging im Februar 1990 Washington so weit, daß Genscher von Gesprächen des amerikanischen Präsidenten Bush (Senior) und Bundeskanzler Kohls in Camp David über Fragen im Zusammenhang mit einer möglichen Wiedervereinigung auf ausdrücklichen Wunsch der Amerikaner ausgeschlossen wurde. Man benutzte die Formel, die beiden Chefs wollten unter vier Augen ohne Außenminister sprechen - aber der amerikanische Außenminister James Baker war dann eben doch dabei." [Löwenthal 1999 und 2000, der auch] "das Verdienst von Focus" lobte, "das Thema Genscher in zwei fundierten Beiträgen aufgegriffen zu haben." (Nummern 21 [auch meine obige Gyula-Horn-Quelle] und 25 [mit dem Schwerpunkt der erst durch Nr. 21 im Jahr 1999(!) offiziell ausgelösten Ermittlungen])

Vier Monate nach Camp David "besuchte der Bonner CIA-Resident den Verfassungsschutzpräsidenten mit der Nachricht, daß es im direkten Umfeld Genschers eine Topquelle der DDR-Spionagetruppe geben müsse." Mit dieser von Focus zitierten Vermutung und "mit allen Denkansätzen, Wissenswertes zum Fall Genscher könnte in Stasi-Unterlagen zu finden gewesen sein" ging Löwenthal, der in Moskau das Ziel der nicht aufgeklärten Spionage vermutete, nicht mehr konform. Auch sah er schon 1999 "die Möglichkeit des Schlusses, daß der Schatten Genschers - Genscher selbst sein könnte und lies sich 2000 zum Nachdenken über Genschers Lebenslauf anregen."

2013 schrieb ich zu Hans Heckels Artikel "Nur Kolonie fremder Mächte?" den dort online freigeschalteten Kommentar:

"Die gegenwärtigen Enthüllungen werfen auch neues Licht auf das Mißtrauen "der Amerikaner", hier also Bush Senior und Baker, gegenüber Genscher 1990 und dessen Rücktritt 1992! In diesem Zusammenhang empfehle ich die beiden [genannten] Gerhard-Löwenthal-PAZ/Ostpreussenblatt-Artikel. Wird sich die damals "Kohl" gewährte Rücksicht heute bei "seinem Mädchen", sprich beide Male dem schwarzrotgelbgrünrotem Zeitgeist, wiederholen oder der Whistleblow zum Whistlestorm zunehmen?"

Ich kann nicht in Genschers Herz schauen und meine Hypothese ist sehr deftig. Aber ich gebe zu bedenken

a) die drei Artikel in der Jedermanpresse [Der Spiegel wird unten noch erwähnt];
b) die Schlechtleistung des Genscher-Ministeriums, den Amerikanern die Wahrheit über den von Strauß eingefädelten Milliardenkredit zu erklären. Auch ohne "allgemeine Spionagelust" würden die Amerikaner ob Genschers allgemeiner Politik zum Entschluß gekommen sein können, sich Genscher mal ganz genau anzusehen;
c) den naheliegenden Schluß, daß die "Ost-Berliner Stasidateien" sehr wohl eine "Quellen-Legende" für uramerikanische Aufklärungsergebnisse würden gewesen sein können, wenn denn die Amerikaner eine Verbindung Genschers nach Moskau aufgedeckt hätten;
d) folgerichtig das nachvollziehbare Motiv, gerade als Mann Moskaus eine zu selbständige Politik Ost-Berlins stören zu wollen;
e) das passende Timing von Genschers Rücktritt nach dem Ende der Sowjetunion;
f) den Krampf im Umgang mit Edward Snowden und nicht nur meinen und wohl nicht nur bei mir immer wieder aufgefrischten und gestärkten Zweifel (Stichwort für den letzten der vier Links: Canossa-Republik), überhaupt zum aufrechten Gang (FJS-Forderung) finden zu wollen;
g) die seit über zwei Jahren wohl ausgebliebene publizistische Verknüpfung der Snowden-Enthüllungen mit Amerikas an Deutschland wenn auch nur unvollständig weitergegebenen Informationen zu einem "Guillaume" übertreffenden Sicherheitsleck.

Stattdessen sind Löwenthals 1999er Absätze noch immer aktuell:

"In großen Teilen der deutschen Publizistik wurde das Thema Genscher hingegen gar nicht behandelt. Man ging der Auseinandersetzung mit dieser Frage offenbar aus dem Wege. So haben sich die Hamburger Blätter "Stern" und "Spiegel", die sich stets ihres besonderen investigativen Stils rühmen und auch über die notwendigen materiellen Ressourcen verfügen, die sie oft genug als "Scheckbuchjournalismus" einsetzen, weder mit dem rätselhaften urplötzlichen Abtauchen Genschers aus seinem Amt im Mai 1992 noch mit den neuerlichen Überlegungen zu einem möglichen Agenten in Genschers damaliger engster Umgebung beschäftigt. Der "Spiegel" druckte diese Woche nur eine schwache Reaktion auf die "Focus"-Recherchen, die nichts anderes war als die schlecht kaschierte Abwehr scheinbar grundloser Angriffe auf Genscher und in die Nähe von Desinformation kommt."


Quellen:

Franz Josef Strauß - Die Erinnerungen; Berlin: Siedler, 1989

Josef Hufelschulte online in Focus Nr. 21 (1999-05-22): Genscher-Rücktritt - War es das?
http://www.focus.de/politik/deutschland/genscher-ruecktritt-war-es-das_aid_176960.html

Josef Hufelschulte online in Focus Nr. 25 (1999-06-21): Agenten - Genschers Schatten
http://www.focus.de/politik/deutschland/agenten-genschers-schatten_aid_176855.html

Georg Mascolo online in Der Spiegel Nr. 26 (1999-06-28): Spionage - Notorische Aufregung
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13880518.html

Gerhard Löwenthal online in Das Ostpreußenblatt am 1999-07-03: Der große Unbekannte.
http://www.webarchiv-server.de/pin/archiv99/2699o05.htm

Gerhard Löwenthal online in Das Ostpreußenblatt am 2000-10-14: Wer ist der große Unbekannte?
http://www.webarchiv-server.de/pin/archiv00/4100ob05.htm

Hinweise: Das Ostpreußenblatt nannte sich in Preußische Allgemeine Zeitung um und der "Sieger der Geschichte" [siehe auch http://archiv.preussische-allgemeine.de/2002/2002_12_24_51.pdf, dort zunächt ganz oben] starb im Dezember 2002.

Hans Heckel online in der Preußischen Allgemeinen Zeitung am 2013-07-03: Nur Kolonie fremder Mächte? US-Spionage wirft ein schlechtes Licht auf deutsche Politiker
http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/nur-kolonie-fremder-maechte.html
mit (neben anderen) einem Kommentar von mir, Johannes Firzlaff, am 2013-07-04


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